Yin-Yang, Taiji und Taijiquan

Lerne ich nun Tai Chi oder Taiji - Taichi Chuan oder dann doch Taijiquan oder wie jetzt eigentlich? Eine Frage, die den meisten Übenden sicher früher oder später allein oder im Gespräch kommen wird. Wir wollen versuchen eine Antwort darauf zu geben. Außer in der Mathematik oder Logik können wohl die wenigsten Antworten 100% richtig und vollständig sein, aber doch hoffentlich für den Ein oder Anderen ein wenig Licht ins Dunkel bringen...

Der Begriff 'Taiji' bezieht sich in unserem Kontext auf eine mittlerweile recht bekannte chinesische Bewegungs- und Kampfkunst (auch wenn der letztere Aspekt zunehmend in den Hintergrund rückt. Besonders außerhalb Chinas). Zu Beginn war (und ist) Taiji jedoch ein grundlegendes philosophisches Prinzip, welches bis heute die verschiedensten Lebensbereiche chinesischer Kultur durchdringt. Angefangen von der alltäglichen Denk-und Handlungsweise über die chinesische Medizin... bis hin zu den Kampfkünsten, wo es einer ganz besonderen zu ihrem Namen verhalf.

Genauer stammt der Begriff aus dem Daoismus - und lässt sich übersetzen als das höchste Prinzip der großen Polaritäten oder als höchstes (Leit-)Prinzip von Mikro-und Makrokosmos. Auch der Polarstern als Dreh-und Angelpunkt der Himmelsscheibe wurde im Alt-Chinesischen mit den gleichen Schriftzeichen als Taiji bezeichnet. Er stand gewissermaßen 'über allen Dingen'.

Tàijí (太極/太极) als grundlegendes Prinzip der komplementären Polaritäten bzw. 'Qualitäten' Yin und Yang taucht das erste Mal im Buch der Wandlungen (yì jīng, 易經) auf, dessen früheste Kapitel bis auf das 11. Jhr. vor Christus zurück gehen. Im Mittelpunkt des Buches stehen aber nicht Yin und Yang an sich, sondern deren ständige Veränderung – und aller Dinge - nach einem geordneten Muster. Dieser Übergang von einem zum Anderen, das ständige 'sich im Fluss' befinden ist so ein wesentlicher Aspekt des Taijiquan. Im Karate z.B. finden wir hier einen deutlichen Kontrast, der uns hilft dies besser nachzuvollziehen. Während dort jede Bewegung einzeln ausgeführt und mehrere solche Schläge und Tritte in einer 'Kata' aneinandergereiht werden, scheint es kaum eine distinkte Stellung einen abgrenzbaren Schlag oder Tritt zu geben, der nicht sofort wieder Teil der nächsten Bewegung wird. Nicht selten werden mit Blick auf das Karate oder ähnliche Kampfsportarten Vergleiche mit Robotern gezogen – auch wenn Karate sicherlich seine Vorzüge und Taijiquan im Gegenzug seine Nachteile hat... Aber das liegt in der Natur der Dinge. Taiji – als philosophisches Prinzip – bedeutet kein Schwarz ohne Weiß, kein Vor- ohne Nachteil. Kein Schnell ohne Langsam, kein Hart ohne Weich. Entsprechend Stellt Taiji nicht zwingend das Nonplusultra aller Kampfkünste dar – zumal dieser Aspekt kaum noch ausreichend trainiert wird. Aber es ist eine gute Ergänzung zu den eher harten, äußeren Kampfkünsten – genauso wie der dunkle Teil der Yin-Yang Monade eine passende (und notwendige) Ergänzung seines Gegenstückes darstellt und so überhaupt erst zu einer wirklich 'runden Sache' führt. Im doppelten Wortsinne.


Diese dualistische Perspektive aller Dinge ist kulturell tief verwurzelt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sämtliche Gegenstände oder Dinge auf Erden entweder eine Yin- oder eine Yang-Qualität aufweisen, welche die Charakteristik des jeweiligen Gegenstandes bestimmt. Vorhanden sind aber
immerbeide. In der bereits genannten Yin-Yang Monade, welche oft symbolisch für diesen Zusammenhang verwendet wird, ist zwar der Übergang von Einem zum Anderen sowie das Yin im Yang / Yang im Yin sichtbar – nicht aber deren ständiger Fluss, wie er im Yijing beschrieben wird...



Die ursprüngliche Bedeutung der beiden Schriftzeichen schließlich verweist auf die von der Sonne beschienene Seite (Yang) bzw. auf die Schattenseite (Yin) eines Berges und verdeutlicht so paradigmatisch die beiden zentralen Qualitäten, auf denen die dualistischen Betrachtung aller lebensweltlichen Phänomene und deren Einordnung in dieses Schema beruht.Später erhielt schließlich eine Kampfkunst, die sich unter anderem sehr stark an diesen Prinzipien orientierte einen fast gleich klingenden Namen.

 

Yin

Yang

Dunkel

Hell

Kalt

Heiß

Weiblich

Männlich

Weich

Hart

Langsam

Schnell

Fließend, Geschmeidig

Explosiv, Blitzartig

Unten

Oben

Innen

Außen

 

Taiji quan. Die 'Faust des höchsten Prinzips der Gegensätzlichkeiten' könnte man sagen. Quan verweist in diesem Zusammenhang jedoch einfach auf den Kampfkunstaspekt und ist am Namen sehr vieler chinesischer Kampfkünste enthalten. So z.B. im berühmten Shaolin quan, der Langfaust Chang quan, dem Gottesanbeterinnenboxen Tanglang quan und und und. Ausnahmen bestätigen die Regel. So heißt es zum Beispiel nicht Bagua quan sondern Bagua zhang, da wir hier vorwiegend Techniken mit der geöffneten Handfläche finden...

Sehr typisch ist jedoch das Taiji-Prinzip: kein Vor ohne Zurück, wenn du nach Rechts willst, geh' erst nach Links, willst du deinen Gegner zu Boden bringen, so bringe ihn erst nach oben (und damit aus dem Gleichgewicht). Besiege Härte durch Weichheit, sei rund statt gerade... Und Taiji ist flexibel. Gibt es in einem Flusslauf einen Widerstand, so macht das Wasser nicht Halt sondern sucht sich einen neuen Weg – wird eine Bewegung oder Technik gekontert oder blockiert, wandelt sie sich und wird zu einer ganz anderen. Ohne Stocken, ohne Pause, stetig im Wandel...

Um diese Qualitäten zu entfalten, muss Taiji jedoch immer und immer wieder geübt werden. Mit ausreichend Motivation und Ausdauer wird aus dem Üben bald ein 'Kultivieren'. Und mit einem guten Lehrer und regelmäßigem Taiji 'Spielen' kommt hoffentlich bald auch das Verstehen. Während die Taij-Form das Gefäß ist, das man selbst erst einmal füllen und nachempfinden muss, ist die Anwendung von Taiji als Kampfkunst und später vielleicht sogar als Prinzip im Alltag das Resultat, wenn man Taiji schließlich 'verstanden' hat. Das starre Gefäß - die Form - braucht man nicht mehr – sie war nur Mittel zum Zweck.

Taiji, so können wir sagen, ist also eine Kampfkunst, die inzwischen weitestgehend 'domestiziert' wurde und heute meist nur noch zur Körperertüchtigung, Körpererfahrung- und Koordinationsschulung sowie zur Entspannung geübt wird. Früher wurde der Begriff vorwiegend als 'Tai Chi umschrieben' - diese Schreibweise hat mit dem alten Umschriftsystem zu tun, welches von Wade-Giles im Westen eingeführt wurde, im die Aussprache chinesischer Begriffe unter Zuhilfenahme westlicher (englischer) Phonetik in den für uns in den Griff zu bekommen. Inzwischen findet dieses System jedoch kaum noch Verwendung. Sowohl in der VR China und auch im Ausland wird statt dessen fast ausschließlich die moderne Pinyin-Umschrift verwendet, die eine weitaus adäquatere und genauere Wiedergabe der jeweiligen Aussprache ermöglicht.



Fazit: Taiji hat hat etwas mit chinesischer Philosophie zu tun – was wir üben, heißt richtig Taijiquan - solange die Anderen aber verstehen, was man will, gilt auch Taiji oder Taichi oder Schattenboxen oder und....

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Lennard (Dienstag, 04 Dezember 2012 21:27)

    Sehr interessanter Artikel, bei dem man noch eine ganze Menge lernen kann.

  • #2

    Vincent (Donnerstag, 03 Oktober 2013 19:17)

    Der Beitrag ist sehr informativ und enthält sehr interessante Informationen, die mir bis dato gar nicht bekannt waren. Vielen Dank an dieser Stelle.